Es ist Zeit!
Wir sind Menschen, denen ein Zusammenleben in Würde am Herzen liegt.
Wir erleben täglich die herausragende Bedeutung unserer Seele, die eine größere Beachtung erfordert.
Wir sind erschüttert über die psychosoziale Lage in allen Industrienationen, denn seelische Erkrankungen und psychosoziale Problemlagen sind dermaßen häufig, dass sie trotz einer Zunahme von medizinischen und therapeutischen Versorgungsangeboten bei weitem nicht angemessen behandelt und aufgelöst werden können. Und dies betrifft alle Altersgruppen und alle Schichten, es betrifft die seelischen Belastungen in Familie, Schule, Arbeitswelt und Kommune.
Unsere Seele leidet an individuellem Stress, an Entmenschlichung, an Überforderung und Verletzungen und an mangelndem zwischenmenschlichen Halt, mangelnder Unterstützung und Liebe.
Unsere Seele besitzt auch Widerstandskraft, innere Stärke und Lebendigkeit. Sie ist fähig zu Lebensfreude, Erfüllung großer Aufgaben, Mitgefühl und Liebe.
Es gibt zahllose Institutionen, Projekte, Unternehmungen, Netzwerke und Verbände, die von Mitmenschlichkeit oder der Sehnsucht nach einem verantwortungsvollen Zusammenleben getragen sind.
Wir sind mehr als unser Leiden, wir sind mehr als unsere gesellschaftlichen Rollen, mehr als Funktionsträger und Kostenfaktoren.
Wir sind lebendige Lebewesen, Eltern, Kinder, Partner, Freunde, Kollegen. Wir sind Mitmenschen, ja sogar Mitwesen mit allen Lebewesen. In der Tiefe unserer Seele spüren wir das Leben, das unser größtes Geschenk ist. Lassen wir uns achtsam und wertschätzend damit umgehen, aus Ehrfurcht vor dem Leben, mit Liebe zum Leben.
So wollen wir uns für ein Zusammenleben engagieren, in dem unser Herz aufgeht, unsere Seele atmet und unsere Fähigkeiten wachsen. Lasst uns unsere Arbeit, unsere Schulen, unser Wohnen und unser Leben so organisieren, dass wir gesund, beherzt und lebendig bleiben und gemeinsam Kräfte entwickeln, die Herausforderungen von heute und von morgen zu meistern.
Die Welt ist so beschaffen, dass wir nur gemeinsam überleben und leben können. Wir brauchen Menschen, die ihr Herz öffnen. Wir brauchen Orte, an denen wir das Beste, was in uns steckt wachsen lassen können. Orte an denen wir gemeinsam lernen, wie wir leben können, ohne dass der Druck uns krank, die Gewalt uns dumpf und die Hoffnungslosigkeit uns lahm macht. Orte an denen wir unsere Kinder aufwachsen sehen wollen. Orte an denen wir Zufriedenheit und Glück empfinden können. Orte an denen wir alt werden und sterben wollen.
Lasst uns Nachbarschaften, Dörfer und Städte schaffen, in denen das Miteinander zählt.
Lasst uns Unternehmen bilden, in denen wir mit unserer Kreativität und Kraft Sinnvolles leisten und damit unsere Existenz und unser Auskommen sichern.
Lasst uns Schulen gestalten, in denen unsere Kinder ihre Neugierde stillen können, in denen sie sich selber kennen und andere achten lernen.
Lasst uns ein Gesundheitswesen entwickeln, in dem wir Leib und Seele gleichwertig beachten und uns mit medizinischer Kompetenz und Mitgefühl bei Krankheit, Leiden, Schmerz und Sterben beistehen.
Lasst uns Gemeinschaften bilden, in denen Menschen lernen, sich zu verstehen und zu verständigen. In denen wir uns gegenseitig helfen und anregen und gemeinsam an einer friedlicheren Zukunft arbeiten.
Lasst uns wahrhaftig sein und echte Begegnung üben.
Lasst uns die inneren Quellen aufsuchen, das Schicksal eines jeden anerkennen und jeden zu seinem einzigartigen Lebens- und Entwicklungsweg ermutigen.
Wir besitzen als Menschheit eine enorme Lebenskraft, eine hohe Intelligenz, ein großes Herz und ein wunderbares kreatives Potential.
Lasst uns in Würde zusammenleben.
Aus dem AUFRUF ZUM LEBEN entwickelt sich
der AUFRUF ZUM BESEELTEN LEBEN
Eine einseitige Orientierung auf materielle Werte, auf die Lösung der großen Menschheitsprobleme durch Technologie und Digitalisierung, und die biologische Dimension in Gesundheitswesen und Gesellschaft vernachlässigt die seelische und soziale Ebene unseres Menschseins. Im Jahr 2010 haben mehr als 20 leitende Ärzte psychosomatischer Kliniken in einem Aufruf zur psychosozialen Lage in Deutschland ihre tiefe Erschütterung über das Ausmaß seelischer Erkrankungen und psychosomatischer Probleme zum Ausdruck gebracht. Trotz einer beginnenden öffentlichen Diskussion, insbesondere über die Problematik zunehmender Burnout-Prozesse und seelischer Überforderungen in den gesellschaftlichen Entwicklungen, hat die massive psychosoziale Überlastung großer Teile der Bevölkerung weiterhin zugenommen.
Daher haben im Jahr 2016 wiederum mehr als 20 leitende Ärzte psychosomatischer Kliniken in dem Aufruf zum Leben sowohl auf das weiterhin bestehende seelische Leiden, als auch auf die Stärke und Lebendigkeit unserer Seele hingewiesen und zu mehr psychosozialer Kompetenz- und Resilienzentwicklung aufgefordert.
Die gegenwärtige Zeit hat uns erneut die Vernachlässigung des Geistig-seelischen und des Zwischenmenschlich-sozialen vor Augen geführt. Die meisten Bevölkerungsgruppen sind durch Infektionsgefahr begründete Ängste und durch langdauernden Stress, angesichts von Vorschriften und Einschränkungen, psychisch massiv belastet.
EDie überragende Bedeutung der menschlichen Seele in dieser Zeit erfordert eine erneute Aufmerksamkeit. Um die Bedeutung des Erlebens, des Spürens, des Fühlens unserer Innenwelt und auch seiner Tiefe zu betonen, erscheint das Wort „Seele“ als das beste und geeignetste, denn es besitzt eine lange abendländische Tradition, sowohl in unseren Religionen als auch in unseren Philosophien, in unserer Kunst und in unserer Dichtung. Es ist eine Metapher, die für die meisten Menschen intuitiv eine innerlich berührende Bedeutung hat. Es geht in dem folgenden Aufruf nicht um die Frage von Begrifflichkeiten. Somit könnte auch „Psyche“ oder „psychosoziale Dimension“ oder ähnliches mitgedacht werden. Angesichts der gesellschaftlichen Situation, der Diskreditierung von Personen oder Konzepten wegen einzelner nebensächlicher Aussagen oder Begrifflichkeiten, möchten wir auch zum Ausdruck bringen, dass es uns nicht um jedes Detail, jede Frage oder jede Aussage geht, sondern um ein „beseeltes Leben“.
Unser Aufruf ist keine Anklage, sondern ein Ausdruck unserer tiefen Erschütterung über die globalen gesellschaftlichen Entwicklungen und der Hoffnung, dass die Würdigung unserer Seele beitragen kann zu einem menschlicheren und lebendigeren Leben.